Pilzwissen in der Praxis

hier kann alles gepostet werden was mit Pilzen zu tun hat. Forumsstart - 22.12.2004

Moderator: Harry

kurtjegle
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Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von kurtjegle »

Hallo zusammen

Was nützt es mir und meinem Land, dass ich nun ca. 80 Pilze kenne und dokumentiert habe? In Wirklichkeit kenne ich ein paar Namen und kann nichts praktisches damit anfangen. Mein erworbenes Baumwissen erlaubt mir gewisse Eingriffe, um diese oder jene bestehende Baumart zu fördern oder zurückzudrängen, ich kann einem jungen Baum mehr Raum und Licht verschaffen, um seine Entwicklung zu fördern, ich kann neue Baumarten anpflanzen, wenn es mir nützlich erscheint etc. Das alles kann ich bei Pilzen nicht. Sie entziehen sich jeder Einflussnahme meinerseits. Ein Beispiel: Wo früher viele Laubwald-Rotkappen unter Erlen und Birken standen, sind sie seit einigen Jahren verschwunden und anderswo wieder aufgetaucht. Warum? Ist das Mycel abgestorben, wenn ja, warum? Ich kann gegen dieses Verschwinden nichts unternehmen, weil ich die Gründe nicht kenne. Ich kann auch kein neues Mycel einbringen. Ich habe schon mal über einen Feldversuch gelesen, bei dem ein Teil des Areals mit einem Mycel geimpft wurde und der andere nicht. Kein längerfristiger Erfolg. Warum kann man die meisten Pilze nicht züchten? Warum bilden entnommene und dann ausgesäte Sporen kein überlebensfähiges Mycel. Auf was kommt es dabei an?
Wisst ihr mehr über die angesprochene Problematik?

Gruss
Kurt
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Beorn
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von Beorn »

Hallo, Kurt!

Sagen wir es mal so: Mit 80 Arten kennst du wahrscheinlich weniger als ein hundertstel aller in Mitteleuropa vorkommenden Arten.
Aber das ist im Grunde auch nicht wesentlich, wie viele Arten man kennt.
Mit dem Wissen kann man ganz Verschiedenes machen.
Manche lernen Pilze kennen, um den Speiseplan zu bereichern.
Manche suchen nur ein Hobby, was geistig fordert und beim Sammeln und Gucken Bewegung an der Luft bietet.
Manche erforschen Pilze wegen ihrer Inhaltsstoffe und möglichen Verwendungsmöglichkeiten in der Medizin. Andere forschen an Pilzen weil sie Schädlinge an Getreide, Bäumen, andern Pflanzen sind, oder Parasiten im menschlichen Körper oder Häuser zum Einsturz bringen.
Manche dokumentieren PIlze, um die Ökologie in einzelnen Gebieten mögclist zu erfassen.
Oder um Zusammenhänge in der Natur, im ökologischen Gleichgewicht zu erforschen. Pilze sind extrem gute Indikatoren für Umwelteinflüsse.
Manche erforschen gezielt bestimmte Verbindungen zwischen Pilzen und Pflanzen.

So vielfältig wie die Pilze sind die Interessen und Zugänge der Menschen zu diesem Thema.
Also was man damit machen kann?
---> Alles, ganz egal, hauptsache es hat mit PIlzen zu tun. :freu


LG, Pablo.
kurtjegle
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von kurtjegle »

Hallo zusammen
Ich will mal am Beispiel der Laubwald-Rotkappe zu verdeutlichen versuchen, um was es mir geht.( Die hier gelegentlich aufgeführten Zitate stammen aus http://de.wikipedia.org/wiki/Laubwald-R ... .96kologie).
Ich will möglichst viel dabei lernen und bitte euch deshalb, möglichst genau auf die Fragen einzugehen, so wie ich sie stelle.
1. Frage
Welche inneren oder äusseren Reize führen zur Freisetzung der Sporen? Ich denke hier z.B. ans Alter des FK, an Aussentemperatur, Regen, Tageslänge, Schneckenverbiss etc..

Gruss
Kurt
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Beorn
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von Beorn »

Hallo, Kurt.

Das ist ganz unterschiedlich von Art zu Art.

Bei den meisten lamellenpilzen ist es so, daß die Sporen nach und nach reifen, sobald sich der Hut öffnet. Ab dem zeitpunkt reifen die Basidien, produzieren Sporen und lassen diese frei, wenn sie reif sind. In der Zeit reifen weitere Basidien, so daß ein Fruchtkörper über eine längere Zeit Sporen fliegen lassen kann.

So ist das auch bei der Eichenrotkappe.
Normalerweise werden herunterfallende Sporen einfach mit dem Wind verbreitet. oder ein Sammler nimmt den Fruchtkörper mit, der natürlich weiter vor sich hin sport. Auch so werden die Sporen weit verbreitet. Dann kommen natürlich Tierchen dazu wie Pilzfliegen, Schnecken und alles, was sich für den Pilz interessiert. Auch an denen bleiben Sporen hängen und werden forttransportiert.
Manche Arten verlassen sich nur und ausschließlich auf Tiere zur Sporenverbreitung. So zB alle hypogäisch lebenden Pilze (also Trüffeln usw.). Die warten, bis ein Tier vorbeikommt, lassen sich aufessen und die Sporen werden an einer anderen Stelle wieder ausgeschieden.

Teuerlinge und Boviste bringen zB ihr Sporenpulver zur Reife, brauchen aber einen mechanischen reiz, um sie aus der Hülle auszustoßen. Da reicht ein Regentropfen oder jemand dappt drauf. Schon hat der Pilz den geünschten Effekt.

Witterungseinflüsse können natürlich die Sporulation beeinträchtigen. Wenn es zu kalt ist, können manche Arten zB keine Sporen mehr zur Reife bringen, weil die Nährstoffversorgung nicht mehr funktioniert. Trockenheit kann das selbe bewirken.


LG, pablo.
kurtjegle
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von kurtjegle »

Nun zur Verbreitung durch Wind, falls Wind vorhanden ist. Die Sporen, weibliche wie männliche, können sich ihren Landeplatz nicht aussuchen, was auch nicht nötig ist, denn:
Zitat Google:
"Die wärmeliebende Laubwald-Rotkappe ist ein Mykorrhiza-Partner von Eichen sowie anderen Laubbäumen und kommt in milden Gegenden in Eichen-Hainbuchenwälder sowie in Buchenwäldern mit eingestreuten Eichen, teilweise auch in Parks und auf Friedhöfen vor. Sie bevorzugt frische bis trockene Böden auf neutralem oder mäßig saurem Untergrund, kann aber auch auf basischen Böden auftreten."
Hauptsache: Laubbäume, Parks oder Friedhöfe, frische bis trockene Böden, basische bis neutrale oder mässig saure.
Frage 2
Ist jeder Boden günstig ausser dem in Nadelbaumplantagen oder in Sümpfen?

Gruss
Kurt
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Beorn
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von Beorn »

Jein.

Damit sich ein Pilz irgendwo ansiedeln kann, müssen ja nicht nur ein passender Baumpartner da sein und Bodensäuregehalt sowie Feuchtigkeitsversorgung passen. Da gibt es noch sehr viel mehr Faktoren, von denen das abhängt. Einen hast du schon genannt: Es müssen sich zwei Primärmycelien verbinden können. Bei PIlzen gibt es im Grunde keine "männlichen" und "weiblichen" Sporen. Das aber nur so am Rande, wie die Vermehrung und Fortpflanzung von Pilzen führt, kannst du nachlesen, das würde hier den Rahmen sprengen.
Kommt es also zur Verschmelzung zweier Primärmycelien, kann daraus ein neuer, fertiler Pilz entstehen. Der braucht aber nicht nur einen Baum, von dem er auch akzeptiert wird (geht nur, wenn die Wurzeln nicht schon von anderen Pilzen "belegt" sind), sondern neben dem Säure- und Feuchtigkeitsgehalt müssen noch andere Faktoren passen: Bestimmte MIneralien müssen vorhanden sein, es muss genug Licht geben und weiteres, was noch nicht einmal die Forscher auf dem Gebiet bis heute ganz verstehen.

Warum ist es zum Beispiel so, daß viele Arten Wohngemeinschaften bilden?
Mir fällt das oft auf, wenn es um seltene Arten geht.
Du kannst ewig durch die Wälder ziehen und findest nur Triviales wie Pfifferlinge und Steinpilze, und dann tauchen auf einmal an einer Stelle in unmittelbarer Nachbarschaft zB Hydnellum compactum, Phellodon confluens, Ramaria formosa, Amanita solitaria, Cortinarius purpureus und Craterellus sinuosus auf. Warum machen die das? Warum stehen diese teils seltenen Arten alle an einem Fleck?
Auch bei Saftlingswiesen habe ich sowas schon beobachtet.
Da sind viele Fragen noch zu klären. :interessant


LG, pablo.
kurtjegle
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von kurtjegle »

Da, wie du schreibst, nicht einmal die Forscher die Anforderungen der Rotkappen an den Boden verstehen, müssen wir sie wohl als Anzeiger der Bodenbeschaffenheit vergessen. Ist sowieso kein Problem, Bodenproben an ein darauf spezialisiertes Labor zu schicken. Wie die Helligkeitsverhältnisse und das allgemeine Klima sind, sehe ich auch ohne Pilze. Dass überall Eichen, Birken, Erlen, Zitterpappeln, Hainbuchen herumstehen, sehe ich auch ohne Pilz. Bleibt eigentlich nur das Wissen um die Mycorrhiza, das mir einen wichtigen Hinweis liefert.

Frage 3:
Was war zuerst, der Mycorrhizapilz oder der Laubbaum?

Gruss
Kurt
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Beorn
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von Beorn »

Hallo, Kurt!

Den Zusammenhang verstehe ich jetzt nicht.
Die Bedeutung von Pilzen als ökologische Indikatoren kannst du ja nicht an einer einzigen Art festmachen. Erst recht nicht an einer relativ anspruchslosen Art wie der Laubwaldrotkappe (Leccinum quercinum).
Wie ich oben schon geschreiben habe, muss man immer das Gesamtbild beachten.
Du kannst eine wunderschöne Wiese haben, auf der haufenweise Hygrocybe conica und Hygrocabe virginea stehen. Das ist aber noch nicht besonderes, beide Arten sind ziemlich anspruchslos und häufig. Dann kniest du dich aber dazwischen und schaust, was noch so dazwischen steht. Das waren bei mir neulich dan Sachen wie Arrhenia peltigerina und Ramariopsis crocea.
Das zeigt immerhin mal, daß dort ein Standort ist, der durchaus besondere Verhältnisse bietet. Sonst würden diese beiden extrem seltenen Arten da nicht wachsen.
Was genau macht den Standort so besonders? Das ist dann nicht das Auftreten seltener Arten. Hier gilt es, viel mehr zu berücksichtigen. Welche Moose und Flechten wachsen da? Welche Gräser, welche Algen, welche Blütenpflanzen?
Welche Käfer oder Grasmilben kann man da erwarten?
Nur so entsteht nach und nach ein Bild.

Die Frage nach der Mykorrhiza und dem Baum ist die nach dem Huhn und dem Ei.
So lässt sich Evolution nicht erklären. ;)


LG, Pablo.
kurtjegle
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von kurtjegle »

Ich habe folgendes Buch bestellt, das ich in wenigen Tagen erhalten sollte: "Mycelium Running: How Mushrooms Can Help Save the World". Auszüge des E-Books im Internet schienen mir auf Kompetenz des Authoren hinzuweisen. Ich melde mich dann wieder, wenn ich es durcharbeite oder durchgearbeitet habe.

Gruss
Kurt
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Harry
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von Harry »

Hallo Pablo, hallo Kurt
Beorn hat geschrieben:
Die Frage nach der Mykorrhiza und dem Baum ist die nach dem Huhn und dem Ei.
So lässt sich Evolution nicht erklären. ;)
Doch kann man. Ohne das Vorhandensein von Pilzen wäre eine Landbesiedelung der Pflanzen unmöglich gewesen. Ich hab die Entwicklung mal ein bischen zusammengefasst.


Die Entstehung der Pilze


- Vor ca. 2,2 Millarden Jahren wird ein Bakterium von einem Archaeum umschlossen. Aus dieser Partnerschaft geht eine Zelle mit Kern hervor, der erste Eukaryot ist entstanden.

- Vor ca. 1,7 Millarden Jahren nimmt ein Eukaryot ein Cyanobakterium auf. Aus dieser Verbindung entwickeltn sich die ersten Chloroplasten.

- Vor ca. 1 Millarde Jahren spaltet sich ein einzelliger Eukaryot in die Vorfahren von Pflanzen und Pilzen auf.

- Vor ca. 900 Millionen Jahren entwickeln sich im Meer lebende Einzeller zu Vielzellern aus, die Geflechte aus Fäden bilden. Die Vorfahren der heutigen Pilze sind entstanden.

- Vor ca. 470 Millionen Jahren besiedeln die ersten Pilze das Land. Ascomyceten und Basidiomyceten entstehen.

- Vor ca. 460 Millionen Jahren besiedeln die ersten Grünalgen das Land. Dies gelingt nur durch die Symbiose mit Pilzen.

- Vor ca. 450 Millionen Jahren bilden sich die ersten Moose.

- Vor ca. 420 Millionen Jahren bilden sich aus den Moosen die ersten Gefäßpflanzen aus. Farne und Bärlappe sind entstanden. Auch sie gehen Mykorrhizen mit Pilzen ein.

- Vor ca. 300 Millionen Jahren entstehen die ersten Samenpflanzen.


Pilze waren also schon einige Millonen Jahre vor den ersten Grünpflanzen auf der Erde präsent. Warscheinlich hatten die Asco.- und Basidiomyceten der Urzeit noch nicht das Aussehen heutiger Pilze. Aber wer weiß das schon ganz genau?

Gruß
Harry
Dass man immer noch lernen kann ist herrlich, und auch dass man andere dazu braucht.
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Beorn
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von Beorn »

Hallo, Harry!

Total spannend!
Danke für diese Aufstellung.
Es würde mich brennend interessieren, mal nach fossilen Pilzen zu suchen. Daß das natürlich viel schwieriger ist, als nach Pflanzen, die Skelettartige Strukturen aus Zellulose bilden oder gar nach Tierfossilien, ist da wohl die besondere Herausforderung für die Forscher.


LG, Pablo.
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rickenella
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Re: Pilzwissen in der Praxis

Ungelesener Beitrag von rickenella »

Hallo Harry, hallo Pablo,

eine sehr informativ zusammengestellte Präsentation von Harry, da kann ich Pablo nur beipflichten.
Vielleicht kann Harry auch was zu fossilen Pilzen einstellen (?), davon habe ich bisher noch nie was gehört, geschweige denn, gelesen.
Bei der raschen Vergänglichkeit dieser Organismen kann ich mir das nicht mal vorstellen.

VG
Peter
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Marie Freifrau von Ebner - Eschenbach (1830 - 1916)
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