Missbildung auf Pfifferling

Missbildungen und Mutationen an Pilzen können hier vorgestellt werden - Forumsstart 14.03.2009
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AK_CCM
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Missbildung auf Pfifferling

Ungelesener Beitrag von AK_CCM »

Hallo Gerd,

hier wie versprochen die Missbildung auf Cantharellus pallidus.

2007-09-02_Cantharellus_pallidus_1a.jpg
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2007-09-02_Cantharellus_pallidus_1b.jpg
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Gruß
Andreas
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Gerd †
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Re: Missbildung auf Pfifferling

Ungelesener Beitrag von Gerd † »

Hallo Andreas,
AK_CCM hat geschrieben: hier wie versprochen die Missbildung auf Cantharellus pallidus.
- Herzlichen Dank für diese beeindruckenden Aufnahmen. :su:
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Die Schublade, in der man diese Bildungsabweichung ablegen kann, wird "Prolifikation = Proliferation" genannt.

- Bei diesem Missbildungstyp werden gekräuselte oder andersartig deformierte Hymenophore (hier Leisten) auf dem Hut gebildet, die negativ geotropisch ausgerichtet sind.

---> Im einfachsten Fall werden auf dem Hut wenige kleine, stiellose, auf dem Kopf liegende Hüte gebildet (---> http://www.pilzfotopage.de/Pilzforum/vi ... 286#p14286 ).

---> Im Extremfall, morchelloide Missbildung genannt ( ---> http://www.pilzfotopage.de/Pilzforum/vi ... 095#p14095 und http://www.pilzfotopage.de/Pilzforum/vi ... =34&t=3352 ) wird die gesamte Hutoberfläche von mannigfaltig deformierten Hymenophoren überzogen und der Hutrand stark nach unten gekrümmt, dass der Hut eine +- Kugelform annimmt.

Dein Fund liegt zwischen den beiden Extremen. Man sieht sehr schön viele auf dem Kopf liegende, miteinander verwachsene, stiellose Hütchen mit deformiertem, negativ geotropisch ausgerichtetem Hymenophor. Der Fund ist auch insofern sehr interessant, da [1] bei der Behandlung der "Prolifikation" "Cantharellaceae" nicht erwähnt.

- Nach der von mir eingesehenen Literatur ist die Ursache noch nicht entgültig geklärt:
---> Diskutiert werden "witterungsbedingte Auslösung, Mutationen, Virenbefall, Parasitenbefall usw."


Beste Grüße
Gerd

Literatur:

[1] Michael - Hennig - Kreisel (1983): Handbuch für Pilzfreunde, Band V, S26:62
[2] H. Dörfelt; G. Jetschke (2001): Wörterbuch der Mycologie
[3] Staudt E. (2000): Voll daneben; Südwestdeutsche Pilzrundschau 36(2): 42-43
- Ich mache nur Bestimmungsvorschläge und keine Essensfreigabe.
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Gerd †
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Re: Missbildung auf Pfifferling

Ungelesener Beitrag von Gerd † »

Hallo Andreas,

herzlichen Dank, dass du mir das Original per Email zugeschickt und zur Veröffentlichung freigegeben hast.

Schönes Wochenende
Gerd
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AK_CCM
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Re: Missbildung auf Pfifferling

Ungelesener Beitrag von AK_CCM »

Hallo Gerd,
Gerd hat geschrieben: - Nach der von mir eingesehenen Literatur ist die Ursache noch nicht entgültig geklärt:
---> Diskutiert werden "witterungsbedingte Auslösung, Mutationen, Virenbefall, Parasitenbefall usw."
leider habe ich den Frk. nicht aufgesammelt. Sollte ich aber in der diesjährigen Saison ein paar interessante Schwammerln finden, nehme ich sie mit, trockne sie und lasse sie Dir auf Wunsch zukommen. Denn zumindest ein Parasitenbefall lässt sich mit dem Lichtmikroskop nachweisen. Viren sind dagegen zu klein - um diese sichtbar zu machen, müsstest Du z.B. rastern. Jedenfalls weiterhin viel Spaß mit dem Thema.

Gruß, Andreas
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Gerd †
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Re: Missbildung auf Pfifferling

Ungelesener Beitrag von Gerd † »

Hallo Andreas,

AK_CCM hat geschrieben:
Gerd hat geschrieben: - Nach der von mir eingesehenen Literatur ist die Ursache noch nicht entgültig geklärt:
---> Diskutiert werden "witterungsbedingte Auslösung, Mutationen, Virenbefall, Parasitenbefall usw."
leider habe ich den Frk. nicht aufgesammelt. Sollte ich aber in der diesjährigen Saison ein paar interessante Schwammerln finden, nehme ich sie mit, trockne sie und lasse sie Dir auf Wunsch zukommen. Denn zumindest ein Parasitenbefall lässt sich mit dem Lichtmikroskop nachweisen. Viren sind dagegen zu klein - um diese sichtbar zu machen, müsstest Du z.B. rastern. Jedenfalls weiterhin viel Spaß mit dem Thema.
Danke, ich finde es eine sehr gute Idee, Missbildungen nicht nur zu fotografieren, sondern auch einen Beleg zu retten, an dem man evtl. die Ursache für die Missbildung nachträglich aufspüren kann.
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- [1] vermerkt, dass die unterschiedlichen Prolifikations-Typen (invers, pleurotoid, morchelloid) allem Anschein nach nicht prinzipiell verschieden sind und mancherlei Zwischenformen vorkommen.

---> Ich relativiere diese Feststellung: Die Symptome/Ausprägungen dieser Missbildungen mögen nicht prinzipiell verschieden sein. Dies lässt aber m.E. nicht den Schluss zu, dass alle Prolifikationen über eine und nur eine Ursache erklärt werden können.

- Und ich begründe dies mit den in der Literatur diskutierten Ursachen, über die [vergl. [1]) noch Unklarheit herrscht:

(1) Gendefekt oder Virusbefall

- [1] zitiert Beispiele von BENEDIX, LUTHHARD, u.a., wonach bei bestimmten Myzelien oder Kulturstämmen jahrelang immer wieder die gleiche Missbildung beobachtet wurde.
--->[1] bewertet diese Beispiele (ich kann das gut nachvollziehen) mit „spricht eher für genetische Defekte oder Virusbefall“

- [5] bezeichnet als Ursache „Viren, Parasitenbefall usw“.
---> Insbesondere den Hinweis auf „Parasitenbefall“(vergl. Missbildungen bei „Rüblingen und Steinreizker“ finde bemerkenswert und neige dazu die Bewertung von [1] als „spricht eher für genetische Defekte, Virusbefall oder Parasitenbefall“ zu ergänzen.

(2) Witterungseinflüsse

- Nach [1] nehmen manche Mykologen an, dass namentlich die pleurotoide Form durch Witterungseinflüsse bedingt ist, z.B. durch plötzlich einsetzende Regenfälle im Spätherbst, die eine randliche Wiederbelebung des Wachstums bereits vorhandener Fruchtkörper auslösen.


- Und [3] zeigt eine "morchelloide Prolifikation" eines Fruchtkörpers, der sehr stark an eine Morchel, Lorchel erinnerte und durch mikroskopische Bestimmung sich als Violetter Lacktrichterlings (Laccaria amethystina) entpuppte. Er berichtet über seinen Versuch, diesen Fruchtkörper über Nacht für A. Bollmann zu retten und legte den Fruchtkörper "auf feuchtem Papier in einer Plastikdose in den Kühlschrank".
---> Doch oh Wunder: Der Fruchtkörper hatte sich über Nacht zu einem "+-normalen Lacktrichterling" umentwickelt; und in diesem Fall kann ich mir nicht vorstellen, dass die ursprüngliche Missbildung durch Gendefekt, Virus-/Parasitenbefall ausgelöst wurde.

---> Dies würde m.E. die These stützen, dass auch Umwelteinflüsse eine derartige Missbildung verursachen können.

Mein Fazit:

- Die Liste der Pilzarten aus unterschiedlichsten Gattungen (sogar Ordnungen), bei denen bisher Prolifikationen (inkl. morchelloider Missbildungen) beobachtet wurden, ist lang.

- Die Ursachen sind m.E. derzeit noch nicht geklärt, auch wenn es so schient, dass meist „genetische Defekte, Viren- oder Hyperparasitenbefall“ (*) die Hauptrolle spielen dürften.

(*) Ein breites Spektrum (genetische Defekte, Viren-/Parasitenbefall), dass m.E. deutlich macht, dass derzeit noch schlicht „nur spekuliert“ wird.

Beste Grüße
Gerd

Literatur:

[1] (ID-05008): Michael - Hennig - Kreisel (1983): Handbuch für Pilzfreunde, Band V, S26:62
[2] (ID-00144): Krieglsteiner G. J. (1996): Bildungsabweichungen oder eigenständige Taxa ?, Beihefte zur Kenntnis der Pilze Mitteleuropas X
[3] (ID-04837): Staudt E. (2000): Voll daneben; Südwestdeutsche Pilzrundschau 36(2): 42-43
[4] (ID-06369]: Geiter R. (1997): Ungewöhnliche Bildungsabweichungen an Pilzen; Tintling 4:20-21
[5] (): H. Dörfelt/G. Jeschke (2001): Wörterbuch der Mycologie; 2. Auflage; Spektrum
- Ich mache nur Bestimmungsvorschläge und keine Essensfreigabe.
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