Hallo Holger,
Holger hat geschrieben:
All Deine Hinweise auf eine Steilverwachsung stimmen, selbst in dem "Zustand" ist es noch zu sehen. Die Stiele sind sogar noch zart verbunden, ich hoffe auf diesen Aufnahmen kommt das rüber. Auch an der Stielbasis des "Großen" sieht man die Verletzung wo der "Kleinere" mal mit ihm verbunden war.
- Zuerst einmal herzlichen Dank, dass du deinen Fund gerettet hast und mit deinen eindrucksvollen Bildern meine Spekulation (evtl. lockere Stielverwachsung!?) betätigt hast. Besonders gelungen finde ich folgende Aufnahme von dir:
- V7(Auschnitt).jpg (94.74 KiB) 5226 mal betrachtet
- Man sieht sehr schön, dass die „locker miteinander verwachsenen“ Stielbasen
(blau markiert) nicht exakt in gleicher Höhe liegen.
---> Ich führe das darauf zurück, dass die Primordien zwar nahe beieinander, aber nicht in gleicher Höhe standen. Doch dies ändert m.E. nichts daran, dass es sich um eine „massive“ (Hut-)Verwachsung = „Pseudofasciation“ handelt.
- Und nach Beurteilung dieses Bilds muss ich wohl meine „Ersteinschätzung“ (komme später noch auf das WARUM zurück) leicht korrigieren:
Zuerst herzlichen Dank für diese „Bildungsabweichung“, die du korrekt als „Verwachsung“ einordnest. Und auch deine Begründung „der große Bruder wuchs schneller“ kann ich nachvollziehen und noch etwas ergänzen:
---> Ausgangspunkt der Fruchtkörperbildung waren 2 Fruchtkörperanlagen (Primordien), die in der +-gleichen Ebene dicht beieinander standen, massiv am Hut miteinander verwachsen waren und +-sychron eine Fruchtkörperentwicklung starteten.
---> Und da der linke „große Bruder“ sich etwas schneller entwickelte/streckte, wurde der „kleine Bruder“ (wegen der massiven Hutverwachsung) von seinem Myzel getrennt und stellte die weitere Entwicklung ein. Unklar (ist nicht so wichtig) und auf dem Bild nicht sicher zu beurteilen ist, ob die Stielbasen auch noch miteinander verwachsen waren:
(a) Ohne (oder mit nur geringfügiger) Stielbasen-Verwachsung wird der „kleine Bruder“ komplett von seinem Myzel getrennt.
(b) Bei einer kräftigen Verwachsung der Stielbasen wird der Stiel an einer „Sollbruchstelle“ abgerissen.
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- Nur zur Erinnerung, bevor ich eine neue Detaildeutung der Ursache für deine „Missbildung“ bringe:
(1) Das Myzel wächst verzweigt, watteähnlich locker verflochten im Substrat. Die Fruchtkörperentwicklung bei "Boletales (Röhrlingsartigen), Agaricales (Blätterpilzen) kann man sich (vergleiche [1]) etwa wie folgt vorstellen.
(a)
"Primordialer Zustand"
- In dieser Phase werden eine Vielzahl von "Initialknötchen", das sind +- kugelige "Myzelverdichtungen" (
<100µm), gebildet.
(b)
"Differenzierungsphase"
- Die "Initialknötchen" werden hier zu noch sterilen aber bereits in Hut und Stiel gegliederte "Fruchtkörperanlagen" (Größe
ca. 1mm) ausdifferenziert. Diese Phase schließt, sofern erforderlich auch die Ausbildung einer Gesamthülle (Velum universale) ein.
(c)
"Ansatz der fertilen Strukturen"
- In diesem Schritt wird das Hymenophor (evtl. auch die Basidienanlagen !?) ausdifferenziert. Die Fruchtkörpergröße liegt bei
ca. 5mm.
---> Mit dieser Phase ist die „Primordien“-Entwicklung abgeschlossen.
(d)
„Steckungsphase“ (Fruktifikation bis zur Sporenreife)
- Die Initialisierungs-Bedingungen zur Entwicklung eines Fruchtkörpers sind meist nur unvollständig bekannt.
- Der Fruchtkörper wird vorrangig durch Wasseraufnahme vergrößert und erfolgt in Stufen:
(1) Zuerst wird vorrangig der Stiel „gestreckt“ und der Hut deutlich schwächer vergrößert.
---> Meine persönliche Begründung: Der Hut wird dadurch in eine für den Sporenabwurf günstige Höhe angehoben und das Hymenophor (Lamellen, Röhren, Stacheln, Leisten) mit seinem „Hymenium“ (sporenerzeugende „fertilen Zellen“, in diesem Beispiel „Basidien“) bleiben so lange wie möglich (teilweise durch zusätzliche Ausbildung einer Teilhülle = Velum partiale) geschützt.
---> Gut zu beobachten bei „Riesenschirmlingen“ (Gattungen Macrolepiota bzw. Chlorophyllum), aber auch an jungen Fruchtkörpern anderer Gattungen, die häufig eine „kugelige, halbkugelige, eiförmige etc“ Form mit sich eng an den Stiel anschmiegenden Hutrand haben.
(2) Dann erst erfolgt das vollständige „Aufschirmen“ des Hutes.
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Und noch eine kleine Zusatzanmerkung:
- Massive Verwachsungen treten m.E. nur auf, wenn sich Teile der „Primordien“ oder „Fruchtkörper“ in der „frühen Streckungsphase“ berühren.
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Doch nun zu meiner Einschätzung, wie deine Missbildung für mich plausibel erklärt werden kann:
(1) Die „Fruchtkörperanlage“ (Primordium) des „großen Bruders“ liegt etwas tiefer und hat sich etwas früher entwickelt.
---> Beachte die Berührungsstelle der Stielbasen und die o.g. Dimensionen des Primordiums.
(2) Das höher liegende „Primordium“ des „kleinen Bruders“ hat sich spontan (aber zeitlich verzögert) oder angeregt durch den Hutkontakt mit dem „großen Bruder“ (in der Primordial-Phase oder frühen „Streckungsphase“) zu einer Fruchtkörperentwicklung entschlossen.
(3) Die Stiele (insbesondere die Stielbasen) haben sich m.E. erst in einer „späteren“ Streckungsphase berührt und sind deshalb nur rel. locker miteinander verwachsen.
(4) Warum der „kleine Bruder“ (primär natürlich wegen der Hutverwachsung) letztendlich von seinem Myzel getrennt und angehoben wurde, dafür kann ich spekulativ folgende Alternativen anbieten:
---> Der „große Bruder“ hatte (a) einen „Entwicklungsvorsprung“ (dem der kleine Bruder“ nicht folgen konnte) oder (b) er entwickelte sich etwas schneller.
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Und zum Schluss noch eine Abschlussanmerkung:
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Deiner Fund finde ich auch nach deinen Detailbildern noch sehr interessant. Er zeigt und bestätigt meine Einschätzung, dass Kleinigkeiten (rel. Lage der Primordien, Start der Streckungsphasen) darüber entscheiden, ob
(a) eine massive Verwachsung (Pseudofasciation) auftritt
(b) eine „lockere“ Verwachsung (z.B. „Stockwerkpilz“) auftritt
(c) +-normale“, nahe beieinander stehende Fruchtkörper (evtl. an der Stielbasis oder an den Rhizomorphen leicht miteinander verbundene) gebildet werden. Ein Beispiel dazu habe ich
HIER gezeigt.
---> Das kannst du dir leicht vorstellen, wenn du die Lage des Primordiums des „großen Bruderrs“ leicht veränderst:
(a) Etwas nach rechts (evtl., muss nicht sein, etwas tiefer liegend) verschoben:
---> „Stockwerkpilz“
(b) Etwas nach links verschoben:
---> Ein oder evtl. zwei (wenn beide Primordien sich +-synchron zu einer Fruchtkörperbildung entschließen) „normale“ Fruchtkörper.
Literartur:
[1] Dörfelt H.; G. Jetschke (2001): Wörterbuch der Mycologie; Spektrum Akademischer Verlag
Grüße
Gerd
PS.:
Holger hat geschrieben:
Unglaublich
das ich diese Merkmale übersehen habe!
- Nimm’s gelassen: Bei einer derartig massiven „Hutverwachsung“ kann man (wenn man nicht gezielt danach sucht) die „lockere“ Stielverwachsung leicht übersehen.
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Und übrigens verkneif dir bitte in Zukunft die Anfrage, wie lange ich mit diesem Beitrag beschäftigt war
- Zwischen "Tür und Angel" habe ich ihn nicht erstellt. Hat mich nur "wenige" Stunden (suche nach früheren Kommentaren, Einbinden deines Bilds
(*); --> damit habe ich ein Problem) gekostet. Der Rest war nicht sehr zeitaufwändig.
Nachtrag (in blauer Schrift); 02:55Uhr:
(*) Ich gebe auf das Bild 3 deines Vorbeitrags "einzubinden" (als "img") oder über einen "Link" (als "url") darauf zu verweisen.
---> Dafür bin ich offensichtlich zu "blöd" und habe es jetzt über einen Umweg versucht.
@Holger: Dieses Bild würde mich als Original (ohne Markierung) auch interessieren.