Eine lila gefärbte Speise-Morchel im Herbst!

Missbildungen und Mutationen an Pilzen können hier vorgestellt werden - Forumsstart 14.03.2009
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Gerd †
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Eine lila gefärbte Speise-Morchel im Herbst!

Ungelesener Beitrag von Gerd † »

Hallo Freundinnen/Freunde des „Gruselforums“.

- Ich darf euch heute mit Genehmigung von Thommy Pruß (PilzePilze-Forum - - >
http://www.pilzepilze.de/cgi-bin/webbbs ... ead=330713 ) Herzlichen Dank
ein Prachtexemplar einer „lila gefärbter Morchel“ vorstellen:

Bild

- - -> Er hat sie „Laccaria amethystina var. helvelloides“ getauft. Andere hatten „Aprilscherz, Bildbearbeitung, Halloween, Sehstörungen, etc.“ vermutet!!!
………………………………………………………………………

Ok, jetzt Details zum Fund:

(1) Na klar hat Thomas den Fund (wenn man seinen Var.-Scherz ignoriert) korrekt bestimmt.
- - -> Denn es handelt sich um eine „Bildungsabweichung (Missbildung) eines Fruchtkörpers von „Laccaria amethystina (Hudson 1778) Cooke 1884“ (Violetter Lacktrichterling).

(2) Diese Bildungsabweichung (Missbildung) gehört in die Schublade "Prolifikation [1] = Proliferation [2]" - - -> von [prolifer (lat.), prolifère (frz.) = wuchern. Ein deutscher Ausdruck wird in meiner Literatur nicht angegeben. Ich würde "Hymenophor-Wucherung" vorschlagen.

[1] versteht darunter eine +-exzessive Bildung von Hymenophoren (Lamellen, Stoppeln, Röhren) bei in "Hut und Stiel" gegliederten Pilzen. Er unterscheidet drei Untergruppen, die er als nicht prinzipiell verschieden bewertet:

(a) "Pleurotoide Prolifikation" - - -> lappig-gekräuselte Aufgliederungen des Hutrands mit zum Erbdoden zeigendem Hymenophor
- Da habe ich auf die Schnelle (hatte 67Treffer mit dem Stichwort „Prolifikation, Autor „Gerd“ , Unterforum „Gruselforum) auf den ersten 4 Seiten nix passendes gefunden.

(b) "Inverse Prolifikation" - - -> Bildung von kleinen, stiellosen Hütchen (meist auf dem Hutscheitel, seltener am Hutrand) mit senkrecht oder schräg nach oben zeigendem Hymenophor bzw. direkt aus der Huthaut ohne Hutbildung herausbrechendem Hymenophor. Das Hymenophor kann mitunter auch gekräuselt sein und netzartig anastomosieren.

(c) "Morchelloide Prolifikation" - - - > der Extremfall, bei dem die gesamte Hutoberfläche von mannigfach deformierten Hymenophoren überzogen wird. Die Lamellen sind oft wabenartig vernetzt, der Hut ist so weit nach unten gebogen, dass er eine Kugelform annimmt und sein Rand den Stiel berührt.

- - - > Es leuchtet beim Betrachten des Funds sofort ein, warum dies eine „morchelloide Form“ ist.
- Wird übrigens im Spätherbst häufig bei „Laccaria spec.“ beobachtet.

- - -> Ein Bild einer anderen „Laccaria spec.“ mit dem gleichen Missbildungs-Typ hatten wir auch schon im Gruselforum gezeigt.

- Und, um zu zeigen, dass dieser Missbildungstyp eine große Variationsbreite hat noch einen Verweis in’s Gruselforum

- Und abschließend noch ein besonders filigraner Fruchtkörper dieser Kategorie.

Zurück zu dem Fund:

- - -> Hier kann ich erstmals nachvollziehen, warum diese „Bildungsabweichung“ - - > „morchelloid“ genannt wird!!! :su:

- Und abschließend noch einen Hinweis:

- - -> Nicht jedes von der Norm abweichende Hymenophor kann man in diese Schublade (Prolifikation) schieben. [1] zeigt/beschreibt zwei weitere Missbildungs-Typen, , bei denen auch völlig untypische Hymenophore gebildet werden. Und, zu allem Überdruss, wird noch eine sehr interessante Abweichung bei einem "Eichen-Wirrling" vorgestellt.

………………………………………………………………………………

Über die Ursache herrscht Unklarheit. [1] Es werden folgende Ursachen diskutiert:

(1) Gendefekt oder Virusbefall
- Begründet wird diese Annahme damit, dass im Labor bei bestimmten Myzelien oder Kulturstämmen jahrelang diese Missbildung beobachtet wurde.

- - -> Ja, m.E. ein nachvollziehbares, überzeugendes Argument

(2) Witterungseinflüsse
- Z.B plötzlich einsetzende Regenfälle im Spätherbst, die eine randliche Wiederbelebung des Wachstums bereits vorhandener Fruchtkörper auslösen.

- - -> Dazu habe ich etwas in meiner Literatur gefunden:
[3] zeigt eine "morchelloide Prolifikation" eines Fruchtkörpers, der sehr stark an eine Morchel, Lorchel erinnerte und durch mikroskopische Bestimmung sich als Violetter Lacktrichterlings (Laccaria amethistrina) entpuppte. Er berichtet über seinen Versuch, diesen Fruchtkörper über Nacht für A. Bollmann zu retten und legte den Fruchtkörper "auf feuchtem Papier in einer Plastikdose in den Kühlschrank".
- - -> Doch oh Wunder: Der Fruchtkörper hatte sich über Nacht zu einem "+-normalen Lacktrichterling" umentwickelt. Dies würde die These stützen, dass auch Umwelteinflüsse eine derartige Missbildung verursachen können. Und das Besondere (weitere Literaturhinweise kenne ich nicht) ist, dass „witterungsbedingt“ derartige Missbildungen sogar rückgebildet werden können.
……………………………………………………………………………………………………………

Nochmals zurück zu deinem gezeigten Fund:

- Ich spekuliere jetzt einfach und halte eine wittereungsbedingte Ursache für plausibel:

- - -> Denn es ist schon erstaunlich, dass diese Missbildung bei dieser Art besonders häufig im Spätherbst beobachtet wird, wenn das Wetter Kapriolen schlägt!

Literatur:

[1] (ID-05008): Michael - Hennig - Kreisel (1983): Handbuch für Pilzfreunde, Band V, S26:62; 108-124

[2] (2001): H. Dörfelt/G. Jeschke (2001): Wörterbuch der Mycologie; 2. Auflage; Spektrum

[3] (ID-04837): Staudt E. (2000): Voll daneben !; Südwestdeutsche Pilzrundschau 36(2): 42-43
………………………………………………

Übrigens:
- Wem es bei diesem Wetter langweilig wird, dem empfehle ich diesen vor kurzem eingestellten Link

Grüße
Gerd
- Ich mache nur Bestimmungsvorschläge und keine Essensfreigabe.
Tommy Pruß

Re: Eine lila gefärbte Speise-Morchel im Herbst!

Ungelesener Beitrag von Tommy Pruß »

Moin Gemeind, moin Gerd,
nun bin ich - Gerd sei Dank :danke - auch hier gelandet. Natürlich habe ich mir auch so meine Gedanken gemacht, wie eine solche Form zu Stande kommt. Steht auch hier: http://www.pilzepilze.de/cgi-bin/webbbs ... ead=330894.
So findet man doch ganz regelmäßig alte Lacktrichterlinge mit einem sehr großen und weit nach oben gebogenen Hut. Dieses "Biegevermögen" ist ja zweifellos genetisch angelegt. Wenn sich diese Eigenschaft in der Entwicklung der Primordien durchsetzt, die Hutränder schon im Wachstum miteinander verschmelzen und sich zu den Lamellen ein paar Anastomosen gesellen, bekommt man wahrscheinlich automatisch die schönste "violette Morchel".

Grüßlis
Thomas
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Harry
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Re: Eine lila gefärbte Speise-Morchel im Herbst!

Ungelesener Beitrag von Harry »

Hallo Thomas,

na dann ein herzliches Willkommen im Forum.

Diese amethystfarbenen Lackmorcheln sind ja wirklich der Hammer. Du findest aber auch Sachen. Missbildungen an Lacktrichterlinge begegnet man ja des öfteren mal, aber so extrem sind die mir noch nicht unter gekommen. Danke fürs Zeigen. :daumen

Gruß
Harry
Dass man immer noch lernen kann ist herrlich, und auch dass man andere dazu braucht.
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Gerd †
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Re: Eine lila gefärbte Speise-Morchel im Herbst!

Ungelesener Beitrag von Gerd † »

Hallo Thomas,
Tommy Pruß hat geschrieben:Moin Gemeind, moin Gerd,
nun bin ich - Gerd sei Dank :danke - auch hier gelandet. Natürlich habe ich mir auch so meine Gedanken gemacht, wie eine solche Form zu Stande kommt. Steht auch hier: http://www.pilzepilze.de/cgi-bin/webbbs ... ead=330894.
So findet man doch ganz regelmäßig alte Lacktrichterlinge mit einem sehr großen und weit nach oben gebogenen Hut. Dieses "Biegevermögen" ist ja zweifellos genetisch angelegt. Wenn sich diese Eigenschaft in der Entwicklung der Primordien durchsetzt, die Hutränder schon im Wachstum miteinander verschmelzen und sich zu den Lamellen ein paar Anastomosen gesellen, bekommt man wahrscheinlich automatisch die schönste "violette Morchel".

Grüßlis
Thomas
- Hallo Thomas,

zuerst einmal Herzlich Willkommen ich Forum und nochmals herzlichen Dank für die Erlaubnis diese "Fruchtkörper-Bildungsabweichung" hier zeigen und kommentieren zu dürfen.

- - -> Dein Bild ist einfach grandios und überzeugt sicher jeden davon, warum diese "Missbildung" morchelloid(e Prolifikation) genannt wird. :su:

- Würde mich sehr freuen, wenn du in Zukunft weitere Missbildungen hier einstellen würdest. Denn das PilzePilze-Forum besuche ich nur, wenn in einem anderen Forum zufällig ein mich interessierender Link (so auch hier) darauf gesetzt wird.

- Warum: Mich überfordert einfach das "völlig unstrukturierte PilzePilze-Forum".
...........................

- Doch jetzt noch eine Abschlussbemerkung zu deinen Überlegungen:

(1) Ich persönlich kann mich da nicht mit einer genetischen Anlage anfreunden.

(2) Meine Überlegung geht da eher in ein "witterungsbedingtes" (physikalisch erklärbares) Aufbiegen des Hutrandes:

Warum:

- Wenn ich mir einen durchfeuchteten, dünnfleischigen Fruchtkörper vorstelle, dem durch Temperataureinfluss (beachte: die Wärme kommt von oben(Sonne)) zuerst oben Wasser entzogen wird,
- - -> dann wird der mit einem Hochbiegen der Hutränder (das Volumen wird zuerst oben verringert) reagieren müssen.

OK.:
- Das war jetzt nur eine theoretische Überlegung, die ich nicht im Experiment (halte ich für überflüssig) überprüft habe.

- Wer's es nachprüfen möchte, dem empfehle ich folgendes Experiment:

(1) Diese Art in Wasser legen, bis sie völlig durchfeuchtet ist.

(2) Jetzt senkrecht stellen und vorsichtig/langsam von oben "Wärme" zuführen!!!

Grüße
Gerd
- Ich mache nur Bestimmungsvorschläge und keine Essensfreigabe.
Tommy Pruß

Re: Eine lila gefärbte Speise-Morchel im Herbst!

Ungelesener Beitrag von Tommy Pruß »

Moin Gerd,
natürlich hat deine Theorie auch eine Menge für sich und klingt auch absolut nachvollziehbar. Dein Experiment werde ich spätestens nächstes Jahr durchführen – jetzt sind die Laccarias alle weg.
Aber ob ich auch weitere Missbildungen reinstellen werde, weiß ich natürlich nicht: So oft begegnen mir solche Aberrationen auch nicht! ;-) Wenn ich aber was finde, dann kommt es auch hier hinein!
Auf der Pilzfotopage selbst werde ich mich wohl demnächst öfter tummeln. In der Vergangenheit war dazu einfach keine Möglichkeit und/oder keine Zeit.
Bis demnächst!

Grüßlis
Thomas
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Gerd †
Forums Gott
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Re: Eine lila gefärbte Speise-Morchel im Herbst!

Ungelesener Beitrag von Gerd † »

Hallo Thomas,
Tommy Pruß hat geschrieben: Moin Gerd,
natürlich hat deine Theorie auch eine Menge für sich und klingt auch absolut nachvollziehbar. Dein Experiment werde ich spätestens nächstes Jahr durchführen – jetzt sind die Laccarias alle weg.
Aber ob ich auch weitere Missbildungen reinstellen werde, weiß ich natürlich nicht: So oft begegnen mir solche Aberrationen auch nicht! ;-) Wenn ich aber was finde, dann kommt es auch hier hinein!
Auf der Pilzfotopage selbst werde ich mich wohl demnächst öfter tummeln. In der Vergangenheit war dazu einfach keine Möglichkeit und/oder keine Zeit.
Bis demnächst!

Grüßlis
Thomas

- Freut mich, dass dir meine Theorie gefällt und du spätestens nächstes Jahr mein vorgeschlagenes Experiment durchführst.

- - >Freue mich schon auf das Ergebnis!!!

- Was weitere "Missbildungen" angeht geht es dir vermutlich wie mir:

(1) Obwohl ich mich seit einigen Jahren mit Missbildungen beschäftige, habe ich bisher nur sehr wenige entdeckt.
---> Die verstecken sich erfolgreich vor mir, da sie nicht seziert werden möchten. :un:

(2) Erfreulich war allerdings, dass nach einem Vortrag von mir über "Missbildungen" an einem Pilzwochenende mit HARRY mich völlig überraschend erstaunlich viele "Missbildungen" gefunden wurden.
.............................

- Freut mich natürlich, dass du in Zukunft dich hier öfter tummeln wirst.

Grüße
Gerd
- Ich mache nur Bestimmungsvorschläge und keine Essensfreigabe.
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