Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Spezialforum zum Thema phytoparasitische Kleinpilze ( Rost, Brand, Mehltaupilze etc. ) und tierische Gallen an Wild.- und Nutzpflanzen. Forumsstart - 15.07.2006
Heinz †
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Re: Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Ungelesener Beitrag von Heinz † »

Lieber Harry,

die Widersprüchlichkeit hinsichtlich Taphrina und Wirtspflanze hat mich nicht in Ruhe gelassen. So habe ich heute mein altes Institut aufgesucht und die ?Monograph of the Genus Taphrina? von A.J. Mix (Bibliotheca Mycologica, Band 18, 1949) eingesehen. Hier bin ich nun fündig geworden. ? Unter der Voraussetzung, dass es sich bei der Wirtspflanze um die Spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina) handelt (und ich zweifle jetzt nicht mehr daran!), gehört die fragliche Taphrina ? mit den gleichen Symptomen wie bei Prunus persica ? zu der im östlichen Nordamerika ausschließlich auf Prunus serotina vorkommenden Taphrina farlowii Sadebeck. Der Pilz ist bemerkenswerter Weise von dem deutschen Botaniker Sadebeck 1890 in den ?Jahrb. Hamburg. Wissenschaftl. Anstalt? erstmals beschrieben worden, wahrscheinlich an Material aus Deutschland. Denn Mix schreibt:?The occurence of Taphrina farlowii in Germany (Sydow´s specimen) must mean that the fungus was introduced with its host?. Also: Dein Fund ist gewissermaßen die Wiederentdeckung einer in Nordamerika heimischen und in Deutschland vergessenen Art, die im übrigen nirgendwo in der sonstigen deutschen Literatur zitiert wird. In der neueren amerikanischen Literatur wird der Pilz noch als gültige Art angegeben.
Wenn man sich nicht auf den Wirt (Prunus serotina) stützt, ist eine morphologische Differenzierung zu Taphrina deformans nach Mix schwierig, da sich die Sporen- und Ascusmaße beider Arten überlappen. Also: Gratulation zu Wiederentdeckung einer verschollenen Art (wobei andererseits eine Neueinschleppung nicht ausgeschlossen werden kann).

Gruß aus Wolfenbüttel, Heinz
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Dedimyk
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Re: Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Ungelesener Beitrag von Dedimyk »

Hallo Harry und alle Phytoparasitenfreunde,

das ist ja großartig mit der Taphrina farlowii, die Professor Butin als Verursacher ermittelt hat.

Ich habe gerade meine Unterlagen gesichtet, die ich bei der Bearbeitung der Gattung Taphrina für die Datenbank fungiworld.com, bzw. pilzbestimmung.de in Ansatz gebracht habe und siehe da:

Taphrina farlowii Sadebeck 1890 Prunus serotinus Cambridge, USA, Wirt auch bei uns, Funde eventuell möglich

Deshalb habe ich diese Taphrina farlowii als mögliche Art gemäß unserer Prämisse: "Europa vom Nordkap bis Grenze Afrika, Asien und wenn die Wirte bei uns vorkommen und mit zukünftigen Funden gerechnet werden kann", in der Datei entsprechend vorgesehen.

Wenn ich auch auf diesem Blatt gemäß meinem Beitrag nichts gefunden habe, so scheint meine "Scheintaphrina" doch eine echte, wie Harrys zu sein:

[br][br]

Am Sonntag werde ich bei meiner Gassirunde mit meinem Westi die Traubenkirsche Prunus serotina aufsuchen, neue Bilder machen und auch neue Proben zur Untersuchung mitnehmen und dann sehen wir weiter.

Auf jeden Fall ist das eine großartige Sache und man sieht, daß es sich wirklich lohnt intensiv nachzuhaken und auch schon mal die Literatur mit ihren bekannten Nachweisen in Frage zu stellen.

Ich berichte nächste Woche mehr.

Herzliche Grüße Detlef
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Harry
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Re: Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Ungelesener Beitrag von Harry »

Hallo Heinz, hallo Detlef

nun haben wir ja doch ein Ergebnis. Und was für eins - die Wiederentdeckung einer sehr lange verschollenen und in Vergessenheit geratenen Art ist schon eine prima Sache. Und das ich als Phytoparasiten Neuling daran beteiligt war setzt in mir etwa so viele Glückshormone frei wie 100 Tafeln Schokolade. :giggle:

Das spornt an und lenkt mein weiteres Engagement in Sachen Phyotoparasiten in unentgleisbare Bahnen.

@Detlef

wie du richtig angeführt ist die gängige Literatur nicht immer der Weisheit letzter Schluss und es lohnt immer bei Ungereimtheiten nachzuhaken. Beharrlichkeit bringt hin und wieder überraschende und wertvolle Ergebnisse.

@Heinz

ich möchte dir für deine Beharrlichkeit und dein Nachhaken in deinem alten Institut recht herzlich danken. Zeigt es doch wie wertvoll die Mitarbeit eines hervorragenden Spezialisten ist. Zugang zu solch einer ganz spezifischen Literatur haben warscheinlich nur wenige Phytofreunde.

Danke für die Lösung unseres " Taphrinaproblems". :tup: :tup: :tup:

@ Heinz, Detlef

was machen wir nun aus der Sache? Ich denke wenn diese Wiederentdeckung nur auf dieses Forum beschränkt bleibt wird sie auch ganz schnell wieder vergessen. Sollten wir nicht in einer mykologischen Zeitschrift ( z.B. Tintling ) darüber berichten?

und zu guter letzt

bin ich froh das ich auf Anraten von Detlef dieses Spezialforum eingerichtet habe. Es hat seine Bewährungsprobe schon lange hinter sich und zeigt in vielen Themen und Beiträgen das auch die eher belächelten Bereiche der Mykologie eine wahre Fundgrube hochinterresanter und vorstellungswürdiger Pilze sein kann.

Gruß
Harry
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Dedimyk
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Re: Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Ungelesener Beitrag von Dedimyk »

Hallo Phytoparasitenfreunde,

ich war heute morgen mit meinem Westi an dem befallenen Prunus serotina und habe im Nahbereich 100-200m noch 3 befallene Traubenkirschen gefunden und neue Bilder gemacht und ausreichend Herbarmaterial mitgebracht.

Der Befall war deutlich stärker geworden und die schönen Verfärbungen, die noch am 18.5.2007 zu sehen waren haben zum Teil einem Verwelkbraun Platz gemacht.

Hier das Bild vom 18.5.2007:





Die neuen Bilder von heute morgen, also 6 Wochen später sehen so aus:





















Als Zusatzgabe hat sich dieser schöne Käfer auf einem befallenen Blatt präsentiert, war noch sehr früh und dementsprechend kühl, deshalb blieb er brav sitzen:





Ich habe einige Blätter eingepackt und schicke sie morgen an unseren Spezialisten "Heinz" Professor Butin zur Überprüfung, da er die Spezialliteratur zu der T. farlowii eingelesen hat und die Größenmaße kennt.

Mal sehen ob er den Befall als Taphrina farlowii bestätigen kann, wäre echt prima, dann wäre meine "Scheintaphrina" doch noch eine echte Taphrina geworden und was für eine.

Ich berichte darüber, wenn das Ergebnis vorliegt.

Herzliche Grüße Detlef
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Dedimyk
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Re: Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Ungelesener Beitrag von Dedimyk »

Hallo Phytoparasitenfreunde,

leider ist mein verschicktes Frischmaterial bei unserem Spezialisten Heinz ( Professor Butin ) mit Schimmelverunreinigungen angekommen, so daß eine qualifizierte Untersuchung nicht möglich war.

Deshalb sind wir, Heinz und seine Frau Bärbel sowie ich mit meinem Westi, gestern Morgen in das Biotop "Dragen", Naherholungswald der Stadt Gifhorn gefahren, um Frischware zur Untersuchung zu sammeln.

Ich hatte ja im letzten Bericht geschrieben, daß es zu verstärktem Bräunen der Prunus serotina-Blätter gekommen war und ich die schöne Rotfärbung der Fund vom 18.5.08 vermißt hätte;umso größer war unsere Freude, quasi durch einen feuchtigkeitsbedingten Entwicklungsschub frisch infizierte Prunus serotina-Blätter zu finden siehe die nachfolgenden Bilder:

[br][br]

[br][br]

[br][br]

Da mich das Ergebnis natürlich ungemein interessierte, habe ich unverzüglich mikroskopiert und typische Taphrina -Asci gefunden.

Wenn die Mikrobilder auch sehr schlecht sind, zeigen sie einwandfrei, daß die "Scheintaphrina" doch eine "Echte Taphrina" ist und ich somit auch die

Taphrina farlowii Sadebeck 1890

auf insgesamt 8 Prunus serotina, Späten Traubenkirschen gefunden habe:

[br][br]

[br][br]

[br][br]

[br][br]

Jetzt warte ich nur noch gespannt auf die Bestätigung durch Heinz, der ausreichend Frischmaterial mitgenommen hat, auch noch von einigen anderen Befällen.

Damit haben Harry für das Saarland und ich für Niedersachsen diese seit 100 Jahren in Deutschland vergessene Taphrina farlowii Sadebeck 1890 wiedergefunden und wenn ich mein Biotop betrachte, bin ich mit ziemlich sicher, daß auch zukünftig mit solchen Funden gerechnet werden kann.

Ich vermute mal, daß mit der verstärkten Ausbreitung der Prunus serotina dieser wirtsspezifische Phytoparasit mit eingewandert ist.

Ich persönlich hatte in der Vergangenheit Traubenkirschen immer in Unkenntnis mit Prunus padus gleichgesetzt, bis mich letztes Jahr Dr. Horst Jage auf die Prunus serotina als 2. Möglichkeit hinwies.

Heinz hat mir gestern dankenswerterweise auf meine Bitte hin auch klar die Unterschiede der Prunus serotina zur Prunus padus erklärt, so daß hoffentlich zukünftig keine Wirtsverwechselungen mehr passieren können.

Herzliche Grüße Detlef
Heinz †
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Re: Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Ungelesener Beitrag von Heinz † »

Hallo Detlef,

auf den Aufsammlungen von Sonntagmorgen habe ich die gleichen Pilzstrukturen gefunden wie auf dem Material von Harry. Dementsprechend handelt es sich auch bei dem Gifhorner Fund - nach allem was wir wissen - um Taphrina farlowii. Die Exkursion war sehr beeindruckend für uns. Auf den am Schluß gesammelten Blättern von Prunus serotina fanden sich auf den braunen Flecken verschiedene Pilzarten, deren Zuordnung mir noch nicht gelungen ist.

Beste Grüße, Heinz
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Dedimyk
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Re: Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Ungelesener Beitrag von Dedimyk »

Hallo Heinz,

vielen Dank für Deine Bestätigung, das ist prima, dann haben wir tatsächlich in 2 Bundesländer den neuen Nachweis der Taphrina farlowii.
Auf die anderen Untersuchungsergebnisse bin ich natürlich auch gespannt ( Stigmina carpophila etc. ).

Es freut mich, daß es euch beiden gefallen hat.

Herzliche Grüße aus der Heide, wo es seit haute nachmittag wunderschön regnet.

Detlef
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Harry
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Re: Taphrina deformans an Gewöhnlicher Traubenkirsche?

Ungelesener Beitrag von Harry »

Hallo Heinz, hallo Detlef

na das ist doch wirklich prima. Daran kann man erkennen dass es im Reich der Phytoparasiten auch noch so manche Überraschung geben kann. Überraschend wäre auch für mich wenn dies nur eine Geschichte zweier Bundesländer wäre. Ich bin überzeugt davon dass Pilzfreunde anderer Bundesländer bei genauerem Hinsehen ebenfalls Taphrina farlowii entdeckten könnten. Der Befall greift hier bei uns weiter um sich, es scheint ein hervorragendes Jahr für diese Art zu sein.

Ich denke nicht dass es sich um eine Neueinschleppung dieser Taphrina handelt. Prunus serotina ist in Deutschland immerhin seit 1685 nachgewiesen. Neue Einfuhren dieses sich sehr stark ausbreitenden Gehölzes halte ich doch für sehr unwahrscheinlich. Viellerorts ist die Spätblühende Traubenkirsche ja schon zur richtigen Plage geworden und mit der starken Ausbreitung seinen Wirtes wird auch Taphrina farlowii in den nächsten Jahren häufiger zu finden sein. Ich glaube für diese Prognose braucht man kein Prophet zu sein.

Habt ihr bei eurer Exkursion auch bemerkt das nicht nur die Blätter befallen werden? Die unreifen, grünen Beeren werden ebenfalls von der Taphrina angegriffen. Bei der kleinsten Berührung oder etwas stärkerer Windbewegung fallen die Beeren direkt ab. Stark befallene Traubenkirschen tragen demzufolge kaum noch bzw. keine Beeren mehr.

Ok, ich kann nur noch mal betonen das der Nachweis einer über sehr lange Zeit verschollenen bzw. vergessenen Art wirklich ein prima Sache war. Ich bin schon etwas stolz dass meine Beharrlichkeit so etwas zu Tage gefördert hat.

Ich möchte mich nochmals bei Heinz, der entscheidend zur Aufklärung unseres " Taphrinaproblems " beigetragen hat, bedanken. Ohne Zugang zu der von ihm genannten Spezialliteratur hätte unsere Taphrina keinen Namen erhalten und wäre wohl wieder in der Versenkung verschwunden.

Gruß
Harry
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