Hallo Dieter,
Erst einmal herzlichen Dank an dich für’s Zeigen dieser Bilder und an Wolfgang P. für die Aufnahmen.
- Doch bevor ich diese herrliche Aufnahmen einer in dieser Schönheit rel. seltenen „Bildungsabweichung“ (Missbildung) kommentiere, beantworte ich noch schnell deine Frage, die du in PilzePilze gestellt hast:
Zitat:
„Sind das natürliche Verwachsungen, viele kleine Pfifferlinge auf großem Pfifferling, oder ein Parasit, oder eine Erkrankung ? „
- Es handelt sich um eine weitab von der normaler Variabilität dieser Art liegenden Fruchtkörper-Ausprägungen, die als „Bildungsabweichung“ (salopp „Missbildung) bezeichnet wird
- Auf die Schublade in der dieser Fund abgelegt wird und auf die Ursache der Missbildung komme ich noch detailliert zurück.
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Bevor ich los lege, zeige ich nochmals eines deiner Bilder, damit man leichter nachvollziehen kann, von was ich rede:
An diesem Bild erkennt man :
(a) Eine exzessive Hymenophor-Bildung (hier Leisten) auf der gesamten Hutoberseite.
(b) Das Hymenophor ist untypisch gekräuselt und teilweise wabenartig.
(c) Der gesamte Hut ist +-kugelartig deformiert.
BINGO:
---> Dein Bild ist ein Paradebeispiel für die Extremform einer sog. "Prolifikation" und wird als
"morchelloid" bezeichnet.
Hmm, noch eine kurze Anmerkung:
- [1] nennt diesen Missbildungstyp "Prolifikation"; [5] nennt sie "Proliferation" und betrachtet "Prolifikation" wohl eher als Synonym.
- Ein deutscher Ausdruck wird in meiner Literatur nicht genannt. Aber "Wucherung" (hier des Hymenophors = Leisten) dürfte diese Bildungsabweichung recht treffend beschreiben.
---> Denn „Prolifikation“ [1], besser noch „Proliferation“ [5] stammt von ---> prolifer (lat.), prolifère (frz.) = wuchern] ab.
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Und nun fasse ich (angelehnt an [1]) einmal ein paar Hintergrundinformationen über diesen "Missbildungs-Typ" zusammen:
- Man versteht darunter exzessive Bildungen von Hymenophoren bei in Hut und Stiel gegliederten Pilzen, bei denen man folgende Typen unterscheiden kann:
(a) Lappig-gekräuselte Aufgliederungen des Hutrandes mit nach dem Erdboden (geotrop) gerichtetem Hymenophor und seitlingsartigem Habitus.
--->
pleuroide Prolifikation,
(b) Bildung von (oft nur auf dem Hutscheitel ausgebildeten) nach oben gerichteten ("nicht geotropen") Hymenophoren
---> inverse Prolifikation)
(c) oder im Extremfall als Überwachsung der gesamten Hutoberfläche mit einem aus gekräuselten oder wabenartigen Hymenophor
--->
(morchelloide Prolifikation)
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- Bei dem Extremfall
"morchelloide Form" wird (wie bei deinem von mir ausgewählten Fund) die gesamte Hutoberfläche von mannigfach deformierten Hymenophoren überzogen. Die Lamellen sind oft wabenartig vernetzt, der Hut ist so weit nach unten gebogen, dass er eine Kugelform annimmt und sein Rand den Stiel berührt. Diese Art der Missbildung wurde häufig insbesondere bei Laccaria spec. beobachtet. [1] zeigt noch ein Bild von BOUDIER (1890) einer „morchelloiden „Telamonia scutulatus“.
---> Übrigens , eine auch so vollkommene „morchelloide Profilifakation“ wurde bereits
HIER gezeigt und diskutiert.
- Auch mehrere „Prolifikationen“ von „Pfifferlingen“ , die evtl. als Initialphase einer morchelloiden Missbildung gedeutet werden können, haben wir z.B. bereits gezeigt, letztmalig hier :
viewtopic.php?f=34&t=6192&p=26181&hilit ... ung#p26170
- Und noch einen
, LINK, der zusätzliche Infos zum Thema liefert.
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- [1] vermerkt noch, dass die o.g. genannten
Prolifikations-Typen (invers, pleurotoid, morchelloid) allem Anschein nach nicht prinzipiell verschieden sind und mancherlei Zwischenformen vorkommen.
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-
Über die Ursache herrscht Unklarheit. [1] Es werden folgende Ursachen diskutiert:
(1) Gendefekt oder Virusbefall
- Begründet wird diese Annahme damit, dass im Labor bei bestimmten Myzelien oder Kulturstämmen jahrelang eine "Prolifikation" beobachtet wurde.
---> Da stimme ich zu, da insbesondere gefundene "inverse Prolifikationen" sich durchaus zu einer "morchelloiden" Prolifikation weiter entwickeln könnten.
(2) Witterungseinflüsse
- Z.B plötzlich einsetzende Regenfälle im Spätherbst, die eine randliche Wiederbelebung des Wachstums bereits vorhandener Fruchtkörper auslösen.
---> Dazu habe ich ein mich beeindruckendes Beispiel In meiner Literatur gefunden:
[3] zeigt eine "morchelloide Prolifikation" eines Fruchtkörpers, der sehr stark an eine Morchel erinnerte und durch mikroskopische Bestimmung sich als Violetter Lacktrichterlings (Laccaria amethistrina) entpuppte. Er berichtet über seinen Versuch, diesen Fruchtkörper über Nacht für A. Bollmann zu retten und legte den Fruchtkörper "auf feuchtem Papier in einer Plastikdose in den Kühlschrank".
---> Doch oh Wunder: Der Fruchtkörper hatte sich über Nacht zu einem "+-normalen Lacktrichterling" umentwickelt. Dies würde die These stützen, dass auch Umwelteinflüsse eine derartige Missbildung verursachen.
Mein Fazit: Das Beispiel zeigt m.E., dass durchaus auch „Witterungsbedingungen“ eine Rolle spielen können.
---> Und das Besondere (weitere Literaturhinweise kenne ich nicht) ist, dass „witterungsbedingt“ derartige Missbildungen sogar rückgebildet werden können.
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Literatur:
[1] (ID-05008): Michael - Hennig - Kreisel (1983): Handbuch für Pilzfreunde, Band V, S26:62
[2] (ID-00144): Krieglsteiner G. J. (1996): Bildungsabweichungen oder eigenständige Taxa ?, Beihefte zur Kenntnis der Pilze Mitteleuropas X
[3] (ID-04837): Staudt E. (2000): Voll daneben; Südwestdeutsche Pilzrundschau 36(2): 42-43
[4] (ID-06369]: Geiter R. (1997): Ungewöhnliche Bildungsabweichungen an Pilzen; Tintling 4:20-21
[5] (): H. Dörfelt/G. Jeschke (2001): Wörterbuch der Mycologfie; 2. Auflage; Spektrum
Grüßé
Gerd
PS.:
- Ich hoffe, ich habe dich nicht erschlagen mit dieser Fülle an Infos.
---> Du kannst gerne (ich bitte sogar darum) einen Link auf meinen Beitrag bei PilzePilze setzen
.
---> Und wenn ein dortiges Mitglied einen ungewöhnlich aussehenden Fruchtkörper findet, dann kann ich ihn nur dazu auffordert, ihn im
„Grusel-Forum“ einzustellen.