morchelloider Dachpilz

Missbildungen und Mutationen an Pilzen können hier vorgestellt werden - Forumsstart 14.03.2009
wpruefert
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morchelloider Dachpilz

Ungelesener Beitrag von wpruefert »

Hallo,

Gerd kennt das Bild schon aus dem fungiworld.com-Forum:

ein Runzeliger Dachpilz (Pluteus phlebophorus), dem die normalen Runzeln nicht wohl nicht runzelig genug waren ;-)

Spaß beiseite: im Mikroskop habe ich einen Befall mit einem imperfekten Pilz festgestellt.
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Gerd †
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Re: morchelloider Dachpilz

Ungelesener Beitrag von Gerd † »

Hallo Wolfgang,
wpruefert hat geschrieben: Gerd kennt das Bild schon aus dem fungiworld.com-Forum:
- Ja , diese „Bildungsabweichung (Fruchtkörper-Missbildung)“ habe ich schon bei ERIC bewundert und dort nur knapp kommentiert.
---> Deshalb herzlichen Dank für deine Bereitschaft, diese Bilder auch hier einzustellen.
---> Für mich eine „saustarke Bereicherung“ dieses Unterforums, dass sich ausschließlich mit „ungewöhnlichen/untypischen“ Fruchtkörper-Ausprägungen beschäftigt.

wpruefert hat geschrieben: ein Runzeliger Dachpilz (Pluteus phlebophorus), dem die normalen Runzeln nicht wohl nicht runzelig genug waren ;-)
Ja, die Ausprägung des Hut ist völlig untypisch deformiert und zeigt, dass es sich ganz sicher um eine „Bildungsabweichung“ handelt. Die Frage ist nun, in welche Schublade die Teratologen diese „Missbildung“ einordnen. M.E. kommen nur zwei Kategorien in Frage, die man betrachten muss:

(1) „Tremelloide Missbildungen“ (meist Rüblingsgallen genannt), bei denen die Hutoberfläche (manchmal auch der Stiel) von „hirn- oder gekröselartig gewundenen Auswüchsen von gallertartiger Beschaffenheit“ bedeckt ist. Verantwortlich für diese Art der Missbildung ist ein Pilz-(Mykoparasiten)befall durch Syzogospora (= Christiansenia) spec., die nach heutiger Kenntnis ziemlich wirtsspezifisch bisher „weltweit“ nur auf Gymnopus dryophilus s.l. (Waldfreund-Rübling), Rhodocollybia butyracea (Butter-Rübling), Marasmius pallidocephalus (deutscher Name unbekannt), Phanerochaete sordida (Cremefarbener Zystidenrindenschwamm), weiteren nicht eindeutig bestimmten lignicolen (holzbewohnenden) Cortitiaceaen (Rindenpilzartigen), Flechten und Ascocoryne sarcoides (Fleischroter Gallertbecherling) nachgewiesen wurden.

---> So nebenbei: Die Syzygospora-Arten bilden neben Basidien auch „Zygokonidien“ oder „Blastokonidien“ aus.

Fazit:
- Ich tendiere dazu, einen derartigen Befall auszuschließen:
(a) Die Ausprägung der „Missbildung“ weicht erheblich von den mir bisher eingesehen Abbildungen ab.
(b) Ein Befall von „Pluteaceae“ (Dachpilzartigen) wurde bisher noch nicht beobachtet.

- Übrigens: Das wäre ein Fall für Prof. Bresinsky, der sich ausgiebig mit „Syzygospora“ beschäftigt hat.
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(2) „Prolifikation“ (= “Proliferation“)
---> Das ist die Schublade, in die ich deinen Fund ablegen würde:

Man versteht darunter eine exzessive Hymenophor-Bildung bei Hutpilzen, bei der man grob folgende Untergruppen unterscheiden kann:

(a) „Pleuroide Prolifikation“, eine lappig-gekräuselte Aufgliederung des Hutrandes mit nach untengerichteten Lamellen. Der Hutrand wird dabei in zahlreiche, seitlingsartig (pleuroid) einander überlappende Teilhüte aufgegliedert, die zu einer stark vergrößerten „lamellentragenden“ Unterseite führen.
---> Bilder einer derartigen „Missbildung“ wurden bisher noch nicht gezeigt.

(b) Inverse Prolifikation (wegen der Ausrichtung der Fruchtschicht), eine Bildung von Hymenophoren auf dem Hutscheitel. Hier werden auf dem Hutscheitel kleinere, stiellose, auf dem Rücken liegende, teilweise miteinander verwachsene Hütchen ausgebildet, deren Fruchtschicht schräg oder senkrecht nach oben zeigt und mitunter auch gekräuselt und/oder netzartig anastomisiert. Das Spektrum der Ausprägung reicht von Einzelhütchen bis hin zu einem Kluster, bei dem die Hütchen +-resupinat mit der Hutoberfläche verwachsen sind und nicht oder nur noch andeutungsweise erkennbar sind.

---> Beispiele wurden bereits mehrfach gezeigt:

Marone Pfifferling
Milchling

(c) Morchelloide Prolifikation = "morchelloide Missbildung", der Extremfall einen „inversen Prolifikation. In diesem Fall wird die gesamte Hutoberfläche von m,annigfach deformierten Hymenophoren (unregelmäßig verlaufend, unterbrochen oder gefaltet, gekräuselt und oft wabenförmig vernetzt) überzogen. Der Hut wird dabei so weit nach unten gebogen, dass er eine Kugelform annimmt und sein Rand den Stiel berührt.

---> Beispiele dazu wurden bereits gezeigt

Rettichhelmling Trompetenschnitzling
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---> Es wurden übrigens viele Zwischenformen beobachtet, die zeigen, dass die von mir genannten Formen (morchelloid, invers, pleuroid) nicht prinzipiell verschieden sind.

- Nach der von mir eingesehenen Literatur ist die Ursache noch nicht entgültig geklärt:
---> Diskutiert werden "witterungsbedingte Auslösung, Mutationen, Virenbefall, Parasitenbefall usw."
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wpruefert hat geschrieben: Spaß beiseite: im Mikroskop habe ich einen Befall mit einem imperfekten Pilz festgestellt.
Und dies darf ich ergänzen, indem ich deinen dazugehörigen Beitrag bei ERIC zitiere:
ich habe die Missbildung eben mikroskopiert und bin auf dünne, konidienbildende Hyphen gestoßen, die das Substrat durchziehen (neben Unmassen Bakterien, die aber auch durch die 2 Tage Lagerung im Kühlschrank kommen können) . Die Missbildung besteht übrigens tatsächlich überwiegend aus (fertilem) Dachpilz-Hymenium.

Ich gehe daher nun von einer Missbildung aus, die durch eine Infektion von einem imperfekten Pilz ausgelöst wurde.
Fazit:
(1) Dein Hinweis auf besteht überwiegend aus (fertilem) Dachpilzhymenium“ lässt m.E. nur den Schluss zu, dass es sich um eine rel. massive „inverse Prolifikation“ handelt, evtl. um den Beginn einer „morchelloiden Prolifikation“ (ich kann keine Hütchenreste erkennen), die du durch die Fruchtkörperentnahme und Lagerung im Kühlschrank gestoppt hast.

(2) Auch die Ursache (Befall durch einen Mycoparasiten“ dürfte klar sein.
---> Bleibt nur noch zu klären, ob es sich um einen „imperfekten Pilz“ oder eine „Anamorphe“ (Nebenfruchtform) handelt. Da allerdings traue ich mir nicht einmal eine „Spekulation“ zu.
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Was ist nun bei deinem Fund für mich so besonders???

Ganz einfach:

---> Du hast die Ursache (Mykoparasitenbefall) für diese Missbildung nachgewiesen.

---> Und, ich bin in der Literatur nur auf einen Hinweis gestoßen, bei dem eine „Prolifikation“ eines „Dachpilzartigen“ genannt wird.

---> Letztendlich ist die Missbildung recht „massiv“ und erinnert mich an eine „Morchelloide Missbildung“ im Anfangsstadium.
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Literatur

1] (ID-05008): Michael - Hennig - Kreisel (1983): Handbuch für Pilzfreunde, Band V, S26:62; Abb. 108-124
[2] (ID-00144): Krieglsteiner G. J. (1996): Bildungsabweichungen oder eigenständige Taxa ?, Beihefte zur Kenntnis der Pilze Mitteleuropas X
[3] (ID-04837): Staudt E. (2000): Voll daneben; Südwestdeutsche Pilzrundschau 36(2): 42-43
[4] (ID-06369]: Geiter R. (1997): Ungewöhnliche Bildungsabweichungen an Pilzen; Tintling 4:20-21
[5] (): H. Dörfelt/G. Jeschke (2001): Wörterbuch der Mycologie; 2. Auflage; Spektrum

Liebe Grüße
Gerd

PS.:

Und nochmal ein Aufruf:
- Zeigt bitte weitere Bilder, z.B. „Rüblingsgalle“, „Goldschimmel“ (beide Missbildungen werden durch Pilze erzeugt) und was sonst noch an auffälligen Fruchtkörpern in euren Archiven schlummert.
- Ich mache nur Bestimmungsvorschläge und keine Essensfreigabe.
wpruefert
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Re: morchelloider Dachpilz

Ungelesener Beitrag von wpruefert »

... der Ordnung halber: der Dachpilz ist nicht P. phlebophorus, sondern P. thomsonii.

Neu aufgeschlüsselt mit der Funga Nordica über die geschwänzten Cheilocystiden, und wenn man dann weiß, wo man hinkommen muss, kann man auch die Huthaut richtig beurteilen und kommt mit der Flora Neerlandica ebenfalls dort 'raus ;-)
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