Pfifferling mit Auswüchsen - Drillinge!

Missbildungen und Mutationen an Pilzen können hier vorgestellt werden - Forumsstart 14.03.2009
snowwhite
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Pfifferling mit Auswüchsen - Drillinge!

Ungelesener Beitrag von snowwhite »

Erst eine Vorstellung: Ich heiße Rebecca, komme waschecht aus Detroit, lebte 25 Jahre zwischen Köln und Düsseldorf und jetzt sind wir seit einem Jahr in Tirol an der Zugspitze (3 Kids: 18, 13, 13). Ich sammele schon lange Pilze, möchte irgendwann Pilzberaterin werden aber Kinder und Arbeit machen es schwer. Wenigstens bin ich jetzt an mein Hobby näher gerückt.

Ich treibe mich im pilzepilze forum herum und dort wurde mir den Tipp gegeben, ein Bild von meinem Pfifferling einzustellen.

Wie oft kommt folgende Mißbildung vor? Alle drei haben Leisten.

Bild
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Harry
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Re: Pfifferling mit Auswüchsen - Drillinge!

Ungelesener Beitrag von Harry »

Hallo Rebecca,

zunächst einmal ein herzliches Willkommen im Forum. :tup:

Ich vermute dass sich die Missbildung deines Pfifferlings in die Schublade " Stockwerkspilz " einordnen läst. Eine ähnlich gelagerte Verwachsung wurde hier von Gerd schon mal vorgestellt.

viewtopic.php?f=34&t=3467

Er wird sich sicher im Laufe des Tages noch melden um in seiner gewohnten Ausführlichkeit die Verwachsung deines Pfifferlings zu analysieren.

viele Grüße ins schöne Tirol

Harry
Dass man immer noch lernen kann ist herrlich, und auch dass man andere dazu braucht.
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Gerd †
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Re: Pfifferling mit Auswüchsen - Drillinge!

Ungelesener Beitrag von Gerd † »

Hallo Rebecca,

Herzlichen Dank für das Einstellen deines sehr aussagekräftigen Funds, das eine leicht erkennbare/zuordenbare „Missbildung“ zeigt.

Derartige Missbildungen werden in der Literatur als "Prolifikation" [1] oder “Proliferation“ [2] (deutscher Ausdruck ist mir unbekannt) bezeichnet.

- Man versteht (vergl. [1]) darunter exzessive Bildungen von Hymenophoren bei Hutpilzen, bei denen man folgende „grobe“ Einteilung unterscheiden kann:

(a) Pleurotoide Prolifikation:
---> Lappig-gekräuselte Aufgliederungen des Hutrandes. Der Hutrand wird dabei in zahlreiche, seitlingsförmige, sich teilweise überlappende Teilhütchen (mit geotropisch zum Erdboden gerichteten Lammelen/Leisten) aufgegliedert

(b) Inverse Prolifikation:
---> Als Bildung von Lamellen auf dem Hut. Dabei werden meist am Hutscheitel (seltener am Hutrand) auf dem Rücken liegende(resupinate) kleine, stiellose Hütchen entwickelt, deren mitunter gekräuselte und/oder netzartig anastomosierende Lamellen/Leisten schräg oder senkrecht nach oben zeigen.

(c) Morchelloide Prolifikation :
---> Der Extremfall, bei dem die gesamte Hutoberfläche von mannigfach (gekräuselt, lappig oder wabenartig vernetzt) deformierten Hymenophoren überwachsen iwird. Der Hut wird so weit nach unten gebogen, dass er eine +-Kugelform annimmt und sein Rand den Stiel berührt.

- Allem Anschein nach sind die genannten Prolifikationstypen nicht prinzipiell verschieden, da häufig auch Zwischenformen beobachtet wurden.
------------------------

Dein Bild zeigt eine sehr typisch ausgeprägte „Inverse Prolifikation“.

@ Harry:

-Vergleiche bitte die Bilder deines LINKS (a) mit den hier vorgestellten(b).

---> Dann wirst du schnell folgende Unterschiede sehen:

(a) Man sieht einen deutlichen „Stielansatz“ eines abgebrochenen Stiels.
(b) Einen „Stielansatz“ kann man nicht einmal andeutungsweise erahnen.

- Und deshalb kann man den Fund von REBECCA nicht als "Doppelfruchtkörper/Dreifachfruchtkörper", z.B. Stockwerkspilz, Verwachsung (Pseudofasciation) (*), bezeichnen.
(*) Bei diesen Missbildungstypen sind die Einzelfruchtkörper immer +-normal in Hut, Fruchtschicht und Stiel (kann auch abgerissen sein) gegliedert.
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- Über die Ursache herrscht Unklarheit. [1] Es werden folgende Ursachen diskutiert:

(1) Gendefekt oder Virusbefall
- Begründet wird diese Annahme damit, dass im Labor bei bestimmten Myzelien oder Kulturstämmen jahrelang diese Missbildung beobachtet wurde.

---> Ja, m.E. ein nachvollziehbares, überzeugendes Argument

(2) Witterungseinflüsse
- Z.B plötzlich einsetzende Regenfälle im Spätherbst, die eine randliche Wiederbelebung des Wachstums bereits vorhandener Fruchtkörper auslösen.

---> Dazu habe ich etwas in meiner Literatur gefunden:
[3] zeigt eine "morchelloide Prolifikation" eines Fruchtkörpers, der sehr stark an eine Morchel, Lorchel erinnerte und durch mikroskopische Bestimmung sich als Violetter Lacktrichterlings (Laccaria amethistrina) entpuppte. Er berichtet über seinen Versuch, diesen Fruchtkörper über Nacht für A. Bollmann zu retten und legte den Fruchtkörper "auf feuchtem Papier in einer Plastikdose in den Kühlschrank".
---> Doch oh Wunder: Der Fruchtkörper hatte sich über Nacht zu einem "+-normalen Lacktrichterling" umentwickelt. Dies würde die These stützen, dass es evtl. doch Umwelteinflüsse sind, die eine derartige Missbildung verursachen.

Mein Fazit: Das Beispiel zeigt m.E., dass durchaus auch „Witterungsbedingungen“ eine Rolle spielen können.
---> Und das Besondere (weitere Literaturhinweise kenne ich nicht) ist, dass „witterungsbedingt“ derartige Missbildungen sogar rückgebildet werden können.

Mein Fazit:

(a) Die „Schublade“, in die man diese Bildungsabweichung ablegen muss ist m.E. zweifelsfrei/eindeutig.
(b) Über den Grund der Missbildung kann ich nicht einmal spekulieren.
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Derartige Missbildungen scheinen nicht sooo selten zu sein. Nachfolgend eine kleine Auswahl, bei der man schön nachvollziehen kann, dass die Ausprägung einer „Prolifikation“ sehr unterschiedlich sein kann:

(a) Eine sehr ähnliche Missbildung einer Marone:
viewtopic.php?p=14286#p14286

(b) Eine extreme, als "Morchelloide Prolifikation" bezeichnete Missbildung des Hutes:
viewtopic.php?p=14095#p14095

viewtopic.php?p=14086#p14086

(c) Übergänge zwischen "inverser (negativ geotropischer) Hutbildung" und "morchelloider Bildung":
viewtopic.php?p=14581#p14581

viewtopic.php?p=15101#p15101

viewtopic.php?f=34&t=3593

(d) Gleich mehrere, unterschiedliche Missbildungen auf einem Fruchtkörper:
viewtopic.php?p=14720#p14720

(e) Ähnliche, aber anders einzuordnende Missbildungen:
viewtopic.php?p=14818#p14818


Liebe Grüße
Gerd



Literatur:

[1] Michael - Hennig - Kreisel (1983): Handbuch für Pilzfreunde, Band V, S26:62; Abb. 108-124
[2] H. Dörfelt/ G. Jetschke (Hrsg.): Wörterbuch der Mycologie Spektrum Akademischer Verlag (2001)
[3] Krieglsteiner G. J. (1996): Bildungsabweichungen oder eigenständige Taxa ?, Beihefte zur Kenntnis der Pilze Mitteleuropas X
[4] Staudt E. (2000): Voll daneben; Südwestdeutsche Pilzrundschau 36(2): 42-43
[5] Geiter R. (1997): Ungewöhnliche Bildungsabweichungen an Pilzen; Tintling 4:20-21
- Ich mache nur Bestimmungsvorschläge und keine Essensfreigabe.
snowwhite
Neuling
Beiträge: 5
Registriert: Do 20. Aug 2009, 08:40

Re: Pfifferling mit Auswüchsen - Drillinge!

Ungelesener Beitrag von snowwhite »

Hallo Gerd,

erstens, vielen Dank für die wirklich umfangreiche Erklärung. Ich musste es zweimal durchlesen, um die Hälfte zu verstehen. :lol:
Zweitens, möchte ich mich entschuldigen, dass ich nicht sofort drauf reagiert habe. Ich hatte zwar am nächsten Tag vorbei geschaut aber dann passierte mir ein großes Malheur: Leider blieben bei mir Handy und Führerschein im Wald. Trotz Suchen, kein Erfolg. Inzwischen habe ich ein neues Handy und der Führerschein ist in Arbeit.

Heute war ich wieder im Wald (ja, aufs Pferd muss man nochmal steigen) und habe eine neue Mißbildung entdeckt. Ich denke eher aufgrund der Witterungseinflusse. Das Bild werde ich einstellen sobald die Bilder geladen und webfähig sind.

Ich bin froh, dieses Forum gefunden zu haben. Denn "Pilze sammeln" ist nun mal spannender, wenn man was außergewöhnliches und spannendes nicht nur findet sondern auch mit jemanden teilen kann. Sonst ist niemand in der Nähe, der meine Freude versteht.

Schöne zugspitz-pilzige Grüße
-Rebecca
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